Kunstwerk „Ohne Titel“ im Spannungsverhältnis zu Lochners Triptychon

Nach dem Holocaust, der NS-Diktatur und dem 2. Weltkrieg wollte „man“ gar nicht wissen, welches dunkle Erbe, welche zahlreichen antijüdischen Artefakte sich an etlichen Stellen im Kölner Dom befinden. Im Gegenteil: Selbst nach der Shoa fanden antijüdische Darstellungen Eingang in den Dom.
Hiervon ausgehend nahm Prof. Jürgen Wilhelm 2015 im Auftrag der Kölnischen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Kontakt auf mit dem Domkapitel, dem damaligen Dompropst Gerd Bachner. Wilhelms Vorschlag, sich intensiv mit dem Thema Antijudaismus und Antisemitismus auseinanderzusetzen, stieß auf „große Bereitschaft“. Die gleiche Unterstützung erfuhr das Projekt von Abraham Lehrer, Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln und Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Dem Vorschlag von Jürgen Wilhelm gingen intensive Bemühungen von Dr. Bernd Wacker, Karl Rahner Akademie, voraus, das Thema in die Öffentlichkeit zu tragen.
Die Beteiligten standen vor dem Problem: Wie umgehen mit diesen antijüdischen Darstellungen im Kölner Dom? Wie umgehen mit der langen „Tradition des christlichen Antijudaismus mit seinen verheerenden Folgen“?

© Büttner
Eine Arbeitsgruppe „Der Dom und die Juden“ wurde mit dem Auftrag gebildet, in einem längeren Prozess zu diskutieren, wie in der Gegenwart auf die „zahlreichen Artefakte im Kölner Dom“ reagiert werden soll, die „von erschreckender Judenfeindschaft zeugen.“ Zur Disposition standen u.a. die Möglichkeiten, alle entsprechenden Artefakte radikal zu entfernen oder mit einem neuen Kunstwerk darauf zu antworten.
Die Entscheidung: Ein neues Kunstwerk soll entstehen, das sich kritisch mit den vorurteilsbeladenen und diskriminierenden antijüdischen Darstelllungen auseinandersetzt und in den Dom integriert werden soll.
2023 wurde vom Kölner Domkapitel der „Internationale Kunstwettbewerb Kölner Dom“ ausgelobt. Gesucht wurde ein neues Kunstwerk, welches „das christlich-jüdische Verhältnis zeitgemäß und für die Zukunft inspirierend“ zum Ausdruck bringt und zur kritischen Reflexion anregt. 15 Kunstschaffende nahmen an dem Wettbewerb teil. Ende April 2025 wurde der Siegerentwurf Werk „Ohne Titel“ von Andrea Büttner bei einer sehr gut besuchten öffentlichen Veranstaltung im DOMFORUM vorgestellt.

Das Werk „Ohne Titel“ sieht ein Wandgemälde an der Stirnwand der Marienkapelle im Kölner Dom vor. Es soll über dem berühmten Stefan Lochner-Triptychon aus dem Jahre 1442 angebracht werden. Das mit viel Gold durchwirkte Lochner-Kunstwerk steht in einem Spannungsverhältnis zu dem neuen Kunstwerk. In einem großen schwarzen Rechteck, das den Charakter eines Fensters oder eines undefinierbaren tiefen schwarzen Raumes suggeriert, schwebt ein Objekt in der Tiefe des Raumes, das erst bei näherer Betrachtung und weiteren Informationen identifiziert werden kann.
Dieses Objekt, das innerhalb des schwarzen Rechteckes schwebt und auf den ersten Blick vielleicht an ein Ufo erinnert, „soll das Steinfundament des Thoraschreins aus der ehemaligen mittelalterlichen Synagoge Kölns in Originalgröße zeigen.“ Beide Kunstwerke liegen um die 600 Jahre auseinander. „Der Altar von Lochner stand,“ so ist in der Beschreibung des Siegerentwurfs zu lesen, „ursprünglich auf dem erweiterten Fundament des Thoraschreins in der ehemaligen Synagoge des mittelalterlichen jüdischen Viertels Kölns.“ Lochners Altarbild weise zwar keine antijudaistische Ikonographie auf, es sei jedoch ein christliches Kunstwerk, welches die jüdische Geschichte Kölns berühre.


Bei der Präsentation des Siegerentwurfes konstatierte ein Teilnehmer, das sei ein Meilenstein für den christlich-jüdischen Dialog. Auf jeden Fall eröffnet das Werk „Ohne Titel“ von Andrea Büttner in Kombination mit Lochners Triptychon eine weitere bedeutsame Auseinandersetzung mit der langen Geschichte des christlich-jüdischen Gegen-, Neben- und Miteinanders. Wie das neue Kunstwerk von der Kölner Stadtgesellschaft aufgenommen wird, das werde sich zeigen, so Bettina Levy, Vorstandsmitglied der Kölner Synagogengemeinde.
Willi Reiter