Förderverein des NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln

Auschwitz 80 Jahre befreit

Jeder 27. Januar ist ein Gedenktag. An diesem Tag, im Jahr 1945, rückte die Armee der Sowjetunion in das Gebiet der polnischen Stadt Oswiecim ein und damit auch in das Konzentrationslager Auschwitz, das aus drei getrennten Gebäudekomplexen bestand.

Dort fanden die Soldaten einige tausend kranke und halbverhungerte Häftlinge vor. Trotz intensiver Bemühungen der hauptsächlich aus Russen bestehenden Armee starben in den darauf folgenden Wochen noch viele der geschwächten Häftlinge. Ihre Gräber kann man heute noch in Oswiecim sehen. Die Deutschen waren geflohen, rechtzeitig.

„Der Tag der Befreiung….Befreiung, ha!“ Tadeusz Sobolewicz hatte den Schülergruppen der Willy Brandt Gesamtschule Kerpen, an welcher ich tätig war, auf den Auschwitzfahrten 2002 bis 2014 viele Male eindringlich über seine Erlebnisse als Häftling berichtet.

Tadeusz Sobolewicz 2002 (Foto: Jürgern Seitz)

Er war zunächst in Auschwitz eingesperrt worden, wurde später aber in andere KZ verlegt, so dass er in all den Jahren nicht über diesen Tag redete, weil er ja nicht dabei war.  Aber einmal tat er es dann doch: „Befreiung…ha!“ Was meinte er? Nun, das ist ganz klar: die meisten Häftlinge wurden gar nicht befreit, sondern beim Abzug der SS ein paar Tage vorher auf einen „Todesmarsch“ mitgenommen. Tausende Häftlinge, zu Fuß nach Westen, weg von der Front, durch winterliche Kälte und Schnee, unter Bewachung. Man muss sich einen sehr langgestreckten Zug von Menschen vorstellen, bei dem die Langsamen immer mehr zurück bleiben, und bei dem am Ende des Zuges die jeweils Letzten von der SS erschossen werden. Todesmarsch. Eigentlich braucht man keine Fantasie, denn Elie Wiesel war dabei gewesen und hat es in seinem Buch „Nacht“ beschrieben.

Die Tage vor und nach dem Abzug der SS hat Primo Levi erlebt und beschrieben. Er war wegen hohem Fieber auf der Isolierstation – nur wer laufen konnte sollte mit, aber viele hatten mehr Angst vor dem Dableiben als vor dem Marsch.  Einige SS-Wachen blieben im Krankenlager. Die Befreiung begann mit einem Luftangriff. Am 19. Januar war die SS weg. Für den 24. Januar vermerkt Levi: „Alles ringsum war Zerstörung und Tod.“ Am 27. Januar kamen die Russen, schreibt er. Es waren wohl auch Ukrainer dabei. Aus Nummern wurden wieder Menschen.

Immer noch brechen Schülergruppen der Kerpener Gesamtschule jeden Winter nach Polen auf, um Auschwitz zu besichtigen, das natürlich heute ein Museum ist.  Warum? Ist das alles nicht schon zu lange her? Was interessiert junge Menschen denn so an dieser grausamen Geschichte? Nun, das ist ganz klar, Tadeusz Sobolewicz wusste es: „Meine jungen Freunde“, sagte er, „das ist IHR Auftrag, wenn ich nicht mehr da bin: Erzählen sie das weiter! Damit so etwas nicht mehr passieren kann. Nie mehr!“ Er fehlt uns. 2015 ist er mit 90 Jahren verstorben. Die heutigen Schülergruppen müssen ohne ihn auskommen. Man kann ihn aber im Film sehen. Und den Auftrag annehmen.

Jürgen Seitz
Mitglied des Vorstandes im Verein EL-DE-Haus

Literatur: Primo Levi, Ist das ein Mensch?; Elie Wiesel, Nacht; Tadeusz Sobolewicz, Aus der Hölle zurück