Verein EL-DE-Haus e.V.

Förderverein des NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln

Macht und Machtmissbrauch

Von Willi Reiter

Aktueller könnte das Motto des 55. Deutschen Historikertages nicht sein: Die Dynamiken der Macht – Macht und Machtmissbrauch. Dabei fallen politisch Interessierten und politischen Akteuren insbesondere Putins brutaler Krieg gegen die Ukraine und Trumps erratische Aktionen in den Blick. Aber in der „Geschichtswissenschaft zählt Macht seit jeher zu den wichtigsten Analysekategorien“ in Politik, Wirtschaft aber auch in Familien und Geschlechterbeziehungen.

Die Universität Bonn empfängt verteilt über mehrere Tage rund 2.500 Expertinnen und Experten, Historiker und Historikerinnen sowie schulisches Lehrpersonal, Schaffende aus den Medien und interessierte Laien. In über 70 Fachsektionen sowie eine Reihe weiterer Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen von der Antike bis zur Gegenwart werden interessante Panels angeboten mit Vorträgen und anschließender Publikumsbeteiligung.

Die Historikertage präsentieren aktuelle und kontroverse Herausforderungen der Geschichtswissenschaft. Neue Ergebnisse werden der Öffentlichkeit präsentiert. Die Positionierung der eigenen Disziplin wird diskutiert und die Frage aufgeworfen: „Wie verhält sich die Geschichtswissenschaft zu aktuellen politischen und sozialen Debatten?“

Sechs Debatten-Schwerpunkte stehen im Angebot wie z.B. Schutz vor Machtmissbrauch in der Geschichtswissenschaft, Dynamiken der Macht beim Publizieren oder Mensch – Maschine. Ein neues Machtverhältnis? In der Rubrik Antisemitismus behandeln die Vortragenden erstens die „Begriffsgeschichte des Antisemitismus in längeren zeitlichen Horizonten“, zweitens die „Spezifik antisemitischer Gewalt im Vergleich […] mit anderen Gewaltkomplexen“ und drittens „die Verwendung des Begriffs in der Gegenwart.“ Diesen Part der Debatte gestalten auf dem Podium Avner Ofrath, Stefanie Middendorf, Stefanie Schüler-Springorum und Andrea Löw.

Eine der größten Errungenschaften der politischen Moderne vor Machtmissbrauch ist die Gewaltenteilung. Exekutive. Legislative. Judikative. Aber wie schnell die Gewaltenteilung ausgehebelt werden kann, demonstrierten 1933 die Nationalsozialisten. Im heutigen Russland benötigte Putin nur wenige Jahre, um das zarte Pflänzchen der Demokratie zu zerstören und die errungene Macht zu missbrauchen. Und der gegenwärtige amerikanische Präsident Donald Trump lässt nichts unversucht, die Säulen der Demokratie auszuhöhlen und seine persönliche Macht sukzessive täglich zu erweitern.

Nur eine wehrhafte Demokratie, so heißt es, kann Machtmissbraucht mittels politischer, juristischer und gesellschaftlicher Mittel stoppen. Aber: Welche Mittel, welche Instrumente könnten das sein, um rechtzeitig eine lebendige Demokratie mit der entsprechenden stabilen Gewaltenteilung zu garantieren? Auch in Deutschland wird diese Frage intensiv diskutiert.

Der Historikertag geht vom Dienstag, den 16. bis zum Freitag, den 19. September. Das ausführliche Programm des 55. Deutschen Historikertages sowie die Möglichkeit, sich anzumelden, finden Sie auf der Webseite: www.historikertag.de

Kampagne „Demokratie ist alternativlos“ erfolgreich

Am 3.9.2024 gaben wir den Startschuss für eine Kampagne zugunsten des NS-DOK und der Gedenkstätte Buchenwald über den dortigen Förderverein. Auslöser waren die uns bestürzenden Ergebnisse der Europawahlen und das Erstarken rechtsextremer Parteien in Europa und auch bei uns.  Von Februar bis September 2025 wurden 1 x monatlich Veranstaltungen mit prominenten Referent*innen durchgeführt, die auf ihr Honorar verzichteten, zugunsten des NS-DOK im EL-DE-Haus.

Wir danken ausdrücklich den beteiligten Autor*innen und Referenten:  Prof. Dr. Markus Ogorek, Eva Weissweiler, Ingrid Müller-Münch, Volker Kutscher, Melanie Raabe, Prof. Dr. Kathrin Röggla und Fatih Cevikkollu. Tragischerweise konnte Barbara Beuys nicht mehr zu uns kommen, sie ist im Frühjahr gestorben. An dem Tag, an dem ihre Lesung hätte stattfinden sollen, fand stattdessen eine außerordentlich gut besuchte Diskussion zum Thema „AfD-Verbot! – AfD-Verbot?“ mit Dr. Sarah Brasack, Prof. Markus Ogorek und Georg Restle statt.

Der Erlös aus der Spendenkampagne und dem Besuch der Veranstaltungen beträgt über 23.000 €, die nun – wie angekündigt – in Projekte des NS-DOK investiert werden, die aus den zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln nicht finanziert werden können. Eine erste Investition wurde schon getätigt: Eine kurzfristig notwendige personelle Unterstützung bis Ende 2025 im wichtigen Bereich „Gegenwart“, die bei der Koordination der Antirassismus-Workshops mithilft. Ohne diese Finanzierungszusage, wäre es nicht möglich gewesen, diese Workshops weiter anzubieten.

Über die Fortführung der Kampagne und die weitere Verwendung der Spendengelder entscheidet der Vorstand des Verein EL-DE-Haus in Abstimmung mit dem NS-DOK.

Für den Verein EL-DE-Haus
Claudia Wörmann   Martin Sölle
Vorsitzende

Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an: info@el-de-haus-koeln.de.

 

Anita Lasker-Wallfisch wird 100  

Ein Jahrhundert im Zeichen der Erinnerung

Anita Lasker-Wallfisch, eine der letzten Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz und engagierte Stimme gegen das Vergessen, feierte am 17. Juli dieses Jahres ihren 100. Geburtstag. Die Verantwortlichen des Projekts „Die Cellistin von Auschwitz“, das ein Kinderbuch und eine Ausstellung zum Holocaust umfasst, würdigen ihr herausragendes Engagement für die Erinnerungsarbeit und ihre unermüdliche Aufklärungsarbeit über die Verbrechen des National­sozialismus.

Die 1925 in Breslau geborene Jüdin wurde während des NS-Regimes zur Zwangsarbeit verpflichtet, nachdem ihre Eltern deportiert und ermordet worden waren. 1943 wurde sie wegen Fluchthilfe für französische Kriegsgefangene verhaftet und nach Auschwitz-Birkenau gebracht. Ihre Aufnahme ins Lagerorchester als Cellistin rettete ihr das Leben. Später wurde sie gemeinsam mit ihrer Schwester Renate nach Bergen-Belsen verschleppt und dort 1945 von der britischen Armee befreit.

Erst 1996 entschloss sich Anita Lasker-Wallfisch, ihre Erlebnisse aus der NS-Zeit niederzuschreiben – zunächst nur für ihre Kinder und Enkel. Doch daraus erwuchs ein jahrzehntelanges, unermüdliches Engagement für die Erinnerungs­arbeit. Mit Vorträgen an deutschen Schulen, Reden bei Gedenkveranstaltungen und eindrucksvollen Auftritten – etwa 2018 im Deutschen Bundestag – hat sie maßgeblich dazu beigetragen, die Geschichte lebendig zu halten. Für ihre Verdienste wurde sie vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Nationalpreis und dem Verdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland.

Die Ausstellung „Die Cellistin von Auschwitz“ basiert auf dem Kinderbuch „Du wirst gerettet werden“ von Barbara Kirschbaum und Lukas Ruegenberg. Wie dieses richtet sie sich an Kinder ab dem Alter von acht bis zwölf Jahren und vermittelt so dringend erforderliche Informationen zu Fragen zum Thema National­sozia­lis­mus und Holocaust. „Anita Lasker-Wallfisch hat mit ihrem langjährigen Engagement Maßstäbe gesetzt. Ihr Mut, ihre Stimme und ihr Vermächtnis sind Verpflichtung und Auftrag zugleich – gegen das Vergessen, für Menschlichkeit und unsere Verant­wortung, jeder Form von Ausgrenzung vorzubeugen“, so Georg Bungarten, einer der Verantwortlichen des Projekts.

Weitere Informationen zur Ausstellung gibt es unter: cellistin-von-auschwitz.de

„Positionierte Orte“

„Positionierte Orte“ – so heißt die neue Broschüre, die der Düsseldorfer Erinnerungsort Alter Schlachthof und das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln im Juli 2025 gemeinsam herausgegeben haben. Auf über 100 Seiten finden sich darin Beiträge und Interviews zur Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Geschichtsrevisionismus, Rassismus und Antisemitismus an NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorten. Die Veröffentlichung begegnet damit aktuellen und drängenden Herausforderungen: Denn Mitarbeiter*innen an diesen historischen Orten erleben zunehmend Angriffe von Rechtsaußen. Sie müssen umgehen mit Sachbeschädigungen, mit Provokationen von Neonazis, mit antisemitischen Anfeindungen, mit Geschichtsumdeutungen und erinnerungspolitischen Attacken extrem rechter Parteien.

Die Veröffentlichung liefert Impulse zur kritischen Auseinandersetzung mit diesen Inhalten, bietet Ideen zum praktischen Umgang an und gibt Anregungen zur Selbstreflexion von Haltungen. Ziel ist es, NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte als positionierte Orte zu stärken.

Reimann, Sabine, Michael Sturm und Hans-Peter Killguss 2025 (Hg.) Positionierte Orte. Impulse zur Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in NS- Gedenkstätten und -Erinnerungsorten. Im Auftrag des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln und des Erinnerungsorts Alter Schlachthof an der Hochschule Düsseldorf. Köln: NS- DOK.

Hier können Sie die Broschüre kostenlos als PDF (2,2 MB) runterladen.

Printausgaben können ab dem 18. August 2025 bestellt werden über: erinnerungsort@hs-duesseldorf.de

Zum Antijudaismus im Dom zu Köln

Kunstwerk „Ohne Titel“ im Spannungsverhältnis zu Lochners Triptychon

Kölner Dom                   © Matz+ Schenk

Nach dem Holocaust, der NS-Diktatur und dem 2. Weltkrieg wollte „man“ gar nicht wissen, welches dunkle Erbe, welche zahlreichen antijüdischen Artefakte sich an etlichen Stellen im Kölner Dom befinden. Im Gegenteil: Selbst nach der Shoa fanden antijüdische Darstellungen Eingang in den Dom.

Hiervon ausgehend nahm Prof. Jürgen Wilhelm 2015 im Auftrag der Kölnischen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Kontakt auf mit dem Domkapitel, dem damaligen Dompropst Gerd Bachner. Wilhelms Vorschlag, sich intensiv mit dem Thema Antijudaismus und Antisemitismus auseinanderzusetzen, stieß auf „große Bereitschaft“. Die gleiche Unterstützung erfuhr das Projekt von Abraham Lehrer, Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln und Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Dem Vorschlag von Jürgen Wilhelm gingen intensive Bemühungen von Dr. Bernd Wacker, Karl Rahner Akademie, voraus, das Thema in die Öffentlichkeit zu tragen.

Die Beteiligten standen vor dem Problem: Wie umgehen mit diesen antijüdischen Darstellungen im Kölner Dom? Wie umgehen mit der langen „Tradition des christlichen Antijudaismus mit seinen verheerenden Folgen“?

Skizze der Künstlerin
© Büttner

Eine Arbeitsgruppe „Der Dom und die Juden“ wurde mit dem Auftrag gebildet, in einem längeren Prozess zu diskutieren, wie in der Gegenwart auf die „zahlreichen Artefakte im Kölner Dom“ reagiert werden soll, die „von erschreckender Judenfeindschaft zeugen.“ Zur Disposition standen u.a. die Möglichkeiten, alle entsprechenden Artefakte radikal zu entfernen oder mit einem neuen Kunstwerk darauf zu antworten.

Die Entscheidung: Ein neues Kunstwerk soll entstehen, das sich kritisch mit den vorurteilsbeladenen und diskriminierenden antijüdischen Darstelllungen auseinandersetzt und in den Dom integriert werden soll.

2023 wurde vom Kölner Domkapitel der „Internationale Kunstwettbewerb Kölner Dom“ ausgelobt. Gesucht wurde ein neues Kunstwerk, welches „das christlich-jüdische Verhältnis zeitgemäß und für die Zukunft inspirierend“ zum Ausdruck bringt und zur kritischen Reflexion anregt. 15 Kunstschaffende nahmen an dem Wettbewerb teil. Ende April 2025 wurde der Siegerentwurf  Werk „Ohne Titel“ von Andrea Büttner bei einer sehr gut besuchten öffentlichen Veranstaltung im DOMFORUM vorgestellt.

Visualisierung des Wandbilds © Büttner + Knieps

Das Werk „Ohne Titel“ sieht ein Wandgemälde an der Stirnwand der Marienkapelle im Kölner Dom vor. Es soll über dem berühmten Stefan Lochner-Triptychon aus dem Jahre 1442 angebracht werden. Das mit viel Gold durchwirkte Lochner-Kunstwerk steht in einem Spannungsverhältnis zu dem neuen Kunstwerk. In einem großen schwarzen Rechteck, das den Charakter eines Fensters oder eines undefinierbaren tiefen schwarzen Raumes suggeriert, schwebt ein Objekt in der Tiefe des Raumes, das erst bei näherer Betrachtung und weiteren Informationen identifiziert werden kann.

Dieses Objekt, das innerhalb des schwarzen Rechteckes schwebt und auf den ersten Blick vielleicht an ein Ufo erinnert, „soll das Steinfundament des Thoraschreins aus der ehemaligen mittelalterlichen Synagoge Kölns in Originalgröße zeigen.“ Beide Kunstwerke liegen um die 600 Jahre auseinander. „Der Altar von Lochner stand,“ so ist in der Beschreibung des Siegerentwurfs zu lesen, „ursprünglich auf dem erweiterten Fundament des Thoraschreins in der ehemaligen Synagoge des mittelalterlichen jüdischen Viertels Kölns.“ Lochners Altarbild weise zwar keine antijudaistische Ikonographie auf, es sei jedoch ein christliches Kunstwerk, welches die jüdische Geschichte Kölns berühre.

Rückführung des ma. Tora-schreinfundaments            © Knieps

 

Künstlerin A.  Büttner       © Zimmermann

Bei der Präsentation des Siegerentwurfes konstatierte ein Teilnehmer, das sei ein Meilenstein für den christlich-jüdischen Dialog. Auf jeden Fall eröffnet das Werk „Ohne Titel“ von Andrea Büttner in Kombination mit Lochners Triptychon eine weitere bedeutsame Auseinandersetzung mit der langen Geschichte des christlich-jüdischen Gegen-, Neben- und Miteinanders. Wie das neue Kunstwerk von der Kölner Stadtgesellschaft aufgenommen wird, das werde sich zeigen, so Bettina Levy, Vorstandsmitglied der Kölner Synagogengemeinde.

Willi Reiter

 

Podcast: Menschen im EL DE Haus

 

Dr. Henning Borggräfe (Foto: privat)

Dr. Henning Borggräfe, Direktor des NS-DOK im Gespräch mit Walla Blümcke

Aufnahmetechnik des EL-DE-Haus (Dietmar Orfgen), Nachbearbeitung W. Blümcke

Seit November 2022 ist Dr. Henning Borggräfe Direktor des NS-DOK in Köln, zur Halbzeit seines jetzigen Vertrages gibt es Rückblicke auf seine bisherige Zeit im Haus und Ausblicke auf die kommenden Jahre.

Geboren und aufgewachsen ist er am Rande des Ruhrgebiets in Wetter-Volmarstein, zur Schule gegangen auf eine Waldorfschule in Hagen-Haspe, die er 2001 mit dem Abitur verlassen hat. Seine Großeltern lebten mit ihm in einem Haus und haben viel über den Krieg erzählt und so auch sein Interesse für Geschichte geweckt. In Bochum hat er dann Geschichte und Politikwissenschaften studiert, war in der Punkszene und in studentischen linken Szenen unterwegs und aktiv. Sein Fokus im Studium lag auf der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert, aber eben auch auf der NS-Zeit, die für linke Szenen damals den Referenzrahmen bildete. Schrittweise entwickelte sich die NS-Zeit zum Schwerpunkt seines Interesses. So arbeitete er gegen Ende seines Masterstudiums zu Schützenvereinen in der NS-Zeit, untersuchte damit gesellschaftliches Mitmachen von solchen Feinstrukturen. Noch während der Promotionszeit arbeitete er mit im großen Projekt der Erstellung einer Dauerausstellung für die Gedenkstätte „Steinwache“, das ehemalige Polizeigefängnis in Dortmund. 2012 promovierte er mit der Arbeit „Entschädigung als Selbstaussöhnung. Die deutsche Auseinandersetzung um NS-Zwangsarbeit, 1979 – 2005“ bei Prof. Dr. Constantin Goschler. In der Post Doc-Zeit arbeitete er zu ähnlichen Themen am Kulturwissenschaftlichen Institut der Universität Essen, bevor er 2014 stellvertretender Leiter der Forschungs- und Bildungsabteilung an den Arolsen Archives und ein Jahr später dann ihr Leiter wurde – und bis 2022 blieb. Dort ging es um die digitale Gestaltung des weltweit größten Archivs zur Geschichte der NS-Verbrechen und vor allem darum, das Archiv nicht nur für Privatpersonen, sondern auch für Wissenschaft und Forschung zugänglich zu machen. Von Arolsen aus kam er als Direktor des NS-DOK nach Köln und hat mit dem inzwischen großen Team des Hauses in den nächsten Jahren Großes vor: die Neukonzeption der Dauerausstellung und die Erweiterung der Ausstellungsfläche.

Und wie schaltet der Mensch Henning Borggräfe ab von belastenden Themen? Früher waren es sportliche Radtouren auf Island oder durch Norwegen, seit ein paar Jahren aber gibt es wegen der Kinder etwas Ungefährlicheres, einen Kleingarten, der gut durch die Pandemie geholfen hat und in dessen Verein er als Schriftführer aktiv ist.

 

Weitere Podcasts über Menschen im EL-DE-Haus finden sich hier

Gedenken an den 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Buchenwald

Auf Einladung der Gedenkstätte Buchenwald konnte der Verein EL-DE-Haus mit zwei Vertreterinnen am 5. und 6. April nach Weimar reisen.

Am Nachmittag des 5. April hatten wir Gelegenheit zu einem Gespräch mit der Vorsitzenden des »Fördervereins Gedenkstätte Buchenwald e.V.«, Sabrina Winzer. Der Verein arbeitet daran, ein Netzwerk zu bilden von Initiativen, die sich mit den zahlreichen Außenlagern des KZ Buchenwald beschäftigen. Auch in Köln gab es ja in der Messe ein Außenlager sowie bei der Firma Westwaggon, so dass die Zusammenarbeit zu diesem Thema vertieft werden soll.

Der 6. April stand ganz im Zeichen der Gedenkveranstaltungen. Bei der Veranstaltung am Vormittag in der Weimarhalle, an der mehrere KZ-Überlebende und Nachkommen von Überlebenden aus Israel, Polen, Frankreich, Rumänien und Belarus teilnahmen, forderte der Direktor der »Stiftung KZ-Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora«, Prof. Dr. Jens-Christian Wagner, die Erinnerung an das Grauen der Konzentrationslager weiter wach zu halten. Die Gesellschaft müsse sich allen Formen der Holocaust-Verleugnung, des Antisemitismus und rassistischer Hetze entgegenstellen. Altbundespräsident Christian Wulff warnte in seiner Rede vor der völkischen und ausgrenzenden Rhetorik der AfD, die geeignet sei, den Boden für eine neue Barbarei zu bereiten. Wulf wörtlich: „Aufgrund der Verrohung und der Radikalisierung und eines weltweiten Rechtsrucks kann ich mir inzwischen – und das macht mich beklommen – deutlicher vorstellen, wie das damals geschehen konnte.“

Wichtiger Teil der Veranstaltung waren Gedichte, Texte und Kompositionen, die von Häftlingen im KZ Buchenwald und Mittelbau-Dora verfasst wurden. Den Abschluss bildete die Suite Nr. 1, Ases Tod aus Peer Gynt von Edward Grieg. Diese Musik hatten die Häftlinge für ihr erstes Gedenken auf dem Appellplatz am 19. April 1945 ausgesucht.

Der MDR hat den Gedenkakt gestreamt, so dass die Reden und das kulturelle Begleitprogramm angeschaut werden können. (https://www.mdr.de/video/mdr-plus-videos/video-913898.html)


Anschließend an den Gedenkakt ging es zur KZ-Gedenkstätte auf den Ettersberg. Wir nahmen dort an einem Rundgang teil, der zu 5 Stelen der Ausstellung „Buchenwald 1945. Szenen aus dem befreiten Lager“ führte. (Die Ausstellung, die sich auf dem Außengelände der Gedenkstätte befindet, umfasst insgesamt 12 Stationen, sie ist auf der Webseite der Gedenkstätte unter buchenwald.de dokumentiert.) An jeder der 5 Stationen sprachen zunächst Jugendliche, die ein Freiwilligen-Jahr in der Gedenkstätte machen, inhaltlich zum Ort. Danach stellte sich eine der fünf eingeladenen Initiativen vor.

Claudia Wörmann-Adam, Co-Vorsitzende des EL-DE-Haus Vereins, sprach an der 2. Station vor dem ehemaligen Kommandanturgebäude.

Hier war nach der Befreiung das aus Überlebenden bestehende Internationale Lagerkomitee (ILK) untergebracht, das dann nach dem 11. April ’45 in Zusammenarbeit mit der US Army das Lager verwaltete. Sie kümmerten sich um die Versorgung der Kranken, die Verpflegung der 21.000 Befreiten und die Vorbereitung ihrer Repatriierung. Die französische Verbindungsoffizierin Sonia Vagliano, die über die Zusammenarbeit des amerikanischen Lagerkommandanten Captain Peter Ball mit dem Internationalen Lagerkomitee berichtete, schrieb dazu:
„Die interne Verwaltung von Buchenwald erweist sich einfacher als erwartet, da wir in der Lage sind, die bisherige Regelung für den Betrieb des Lagers beizubehalten. Captain Ball ruft die siebenundzwanzig kommunistischen Vertreter verschiedener Nationalitäten aus Block 40 zusammen und teilt ihnen mit, dass sie ihre Arbeit wie bisher fortsetzen sollen, jetzt aber natürlich unter der Aufsicht der Amerikaner. Dies wird so lange fortgesetzt, wie es keine politische Agitation oder Diskriminierung gibt. Die Verteilung von Lebensmitteln, die Unterbringung, die sanitären Einrichtungen, die Buchführung und die Überwachung fallen allesamt in ihren Zuständigkeitsbereich. Die Übernahme eines Lagers, das bereits effizient organisiert ist, erspart uns viele Kopfschmerzen.“

Die Rede von Claudia ist hier dokumentiert.

An der 1. Station hatte sich der Verband für das Erinnern an die verleugneten Opfer des Nationalsozialismus e.V. vorgestellt, an der 3. Station wurde die Webseite „Geschichte statt Mythen“, der Universität Jena vorgestellt, die in enger Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Buchenwald entstanden ist. Ihr Ziel: „Geschichtsrevisonismus in Thüringen und darüber hinaus aufzudecken, Mythen zu entlarven und kritische Debatten anzustoßen, Fakten von Fiktion zu trennen“. Auf ihrem Blog nehmen sie Stellung zu tagesaktuellen TV-Auftritten, Wahlkampfreden oder Social-Media-Posts von rechten Akteuren.

An der 4. Station sprachen zwei Vertreterinnen der Initiative KZ-Außenlager Halle. Von diesem Lager, dessen Häftlinge Zwangsarbeit in den Siebel-Flugzeugwerken leisten mussten, gibt es heute keine sichtbaren Spuren mehr. Die Gruppe hat sich zum Ziel gesetzt, die NS-Zwangsarbeit zu erforschen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Sie haben einen ersten Audiowalk entwickelt, der in Zukunft weiter ausgebaut werden soll. (audiowalk-kz-halle.de).


An der 5. Station berichteten die Jugendlichen über die Schwierigkeiten bei der Auflösung des Lagers. Die Überlebenden, die hierzu körperlich in der Lage waren, wollten schnellstmöglich in ihre Heimat zurückkehren. Oft begleitet von Hilfsorganisationen aus ihren Heimatländern, reisten die meisten Westeuropäer in der zweiten Aprilhälfte ab. Für die anderen begann die Repatriierung erst nach Kriegsende am 8. Mai 1945. Die letzten Überlebenden, hauptsächlich aus Polen und dem damaligen Jugoslawien, verließen Buchenwald im August 1945. Die Abreise bedeutete jedoch nicht für alle die Rückkehr in ihre Heimat. Vor allem jüdische Überlebende verbrachten oft Jahre in Auffanglagern und mit der Suche nach noch lebenden Angehörigen und einem neuen Zuhause.

Hier stellte sich das Fanprojekt Bochum vor, das sich zur Aufgabe gemacht hat, die Fußballfans für Themen zu interessieren, die nicht unmittelbar mit ihrem Sport zusammenhängen. Regelmäßig fahren sie deshalb auch mit Jugendlichen in die Gedenkstätte Buchenwald, um sich mit der NS-Geschichte auseinanderzusetzen.

Nach dem Rundgang fand auf dem ehemaligen Appellplatz die Kranzniederlegung statt. Viele Menschen hatten sich an diesem 80. Jahrestag der Befreiung auf dem Ettersberg versammelt, hatten selbst Blumen mitgebracht.

Naftali Fürst, Präsident des Internationalen Komitees Buchenwald Dora und seiner Kommandos, bei seiner Befreiung gerade einmal 12 Jahre alt, sagte, jetzt, wo die letzten Zeitzeugen nicht mehr lange da sein werden, sei es Zeit, den Stab der Erinnerung an die Jungen weiter zu reichen. Die Hauptrede hielt Marina Weisband. Ihre beeindruckende Rede, die mit den Worten schloss: „Ich bitte Sie von Herzen – für alle, die hier starben, und überlebten, und die nachgeboren sind – lassen Sie es nicht dazu kommen, dass es morgen wieder ums Überleben geht.“ ist auf buchenwald.de nachzulesen.

Ulrike Bach
Vorstandsmitglied EL-DE-Haus Verein

Erfolgreiches Social-Media-Projekt zum Nationalsozialismus soll eingestellt werden

Das Projekt #ZumFeindGemacht hat sich in den letzten drei Jahren auf Social-Media-Plattformen aktiv gegen Rechtsextremismus und Geschichtsrevisionismus eingesetzt. Die erfolgreiche Kampagne erzählt die Lebensgeschichten von Menschen, die vom NS-Regime verfolgt, gefoltert oder ermordet wurden. Dabei werden oft unbekannte Themen und Schicksale sichtbar gemacht, darunter jugendliche Fans von Swingmusik, Menschen mit Behinderung, sogenannte „Asoziale“, queere Personen und all jene, die einfach nur laut ihre Meinung geäußert haben. Mit einem niedrigschwelligen und partizipativen Ansatz erreicht #ZumFeindGemacht rund 100.000 Follower:innen auf  TikTok, Instagram, Facebook, Threads und YouTube.

#ZumFeindGemacht wurde vom Bundesverband Information & Beratung für NS-Verfolgte e.V. (BVNS) initiiert und seit März 2022 durchgeführt. Der BVNS vertritt seit über 30 Jahren die Interessen aller NS-Verfolgten in Deutschland und hat seinen Sitz in Köln-Mülheim. Das Projekt wurde vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) gefördert, das für die „Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts” zuständig ist. Dazu gehören neben Entschädigungen für NS-Verfolgte auch Bildungsprojekte wie #ZumFeindGemacht. Geschäftsführer Dr. Jost Rebentisch und sein dreiköpfiges Projektteam hatten sich bereits seit dem vergangenen Sommer um eine Verlängerung des Projekts bemüht. Nachdem die Weiterförderung zunächst in Aussicht gestellt wurde, will das BMF den Vertrag zum Ende des Jahres auslaufen lassen.

Ausgerechnet am internationalen Holocaustgedenktag erhielt Dr. Rebentisch telefonisch auf Nachfrage die Auskunft, dass die Projektverlängerung abgelehnt wird. Währenddessen besuchte Finanzminister Jörg Kukies (SPD) die Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz und stellte sich öffentlichkeitswirksam hinter den Slogan #WeRemember. Mit einer Petition an den Deutschen Bundestag und der Unterstützung seiner Followerschaft versucht der BVNS nun, sein Projekt zu retten.

Kontakt:

Bundesverband Information & Beratung für NS-Verfolgte e.V.
Dr. Jost Rebentisch rebentisch@nsberatung.de
0221 – 17 92 94 23
https://www.nsberatung.de/home

 

Auschwitz 80 Jahre befreit

Jeder 27. Januar ist ein Gedenktag. An diesem Tag, im Jahr 1945, rückte die Armee der Sowjetunion in das Gebiet der polnischen Stadt Oswiecim ein und damit auch in das Konzentrationslager Auschwitz, das aus drei getrennten Gebäudekomplexen bestand.

Dort fanden die Soldaten einige tausend kranke und halbverhungerte Häftlinge vor. Trotz intensiver Bemühungen der hauptsächlich aus Russen bestehenden Armee starben in den darauf folgenden Wochen noch viele der geschwächten Häftlinge. Ihre Gräber kann man heute noch in Oswiecim sehen. Die Deutschen waren geflohen, rechtzeitig.

„Der Tag der Befreiung….Befreiung, ha!“ Tadeusz Sobolewicz hatte den Schülergruppen der Willy Brandt Gesamtschule Kerpen, an welcher ich tätig war, auf den Auschwitzfahrten 2002 bis 2014 viele Male eindringlich über seine Erlebnisse als Häftling berichtet.

Tadeusz Sobolewicz 2002 (Foto: Jürgern Seitz)

Er war zunächst in Auschwitz eingesperrt worden, wurde später aber in andere KZ verlegt, so dass er in all den Jahren nicht über diesen Tag redete, weil er ja nicht dabei war.  Aber einmal tat er es dann doch: „Befreiung…ha!“ Was meinte er? Nun, das ist ganz klar: die meisten Häftlinge wurden gar nicht befreit, sondern beim Abzug der SS ein paar Tage vorher auf einen „Todesmarsch“ mitgenommen. Tausende Häftlinge, zu Fuß nach Westen, weg von der Front, durch winterliche Kälte und Schnee, unter Bewachung. Man muss sich einen sehr langgestreckten Zug von Menschen vorstellen, bei dem die Langsamen immer mehr zurück bleiben, und bei dem am Ende des Zuges die jeweils Letzten von der SS erschossen werden. Todesmarsch. Eigentlich braucht man keine Fantasie, denn Elie Wiesel war dabei gewesen und hat es in seinem Buch „Nacht“ beschrieben.

Die Tage vor und nach dem Abzug der SS hat Primo Levi erlebt und beschrieben. Er war wegen hohem Fieber auf der Isolierstation – nur wer laufen konnte sollte mit, aber viele hatten mehr Angst vor dem Dableiben als vor dem Marsch.  Einige SS-Wachen blieben im Krankenlager. Die Befreiung begann mit einem Luftangriff. Am 19. Januar war die SS weg. Für den 24. Januar vermerkt Levi: „Alles ringsum war Zerstörung und Tod.“ Am 27. Januar kamen die Russen, schreibt er. Es waren wohl auch Ukrainer dabei. Aus Nummern wurden wieder Menschen.

Immer noch brechen Schülergruppen der Kerpener Gesamtschule jeden Winter nach Polen auf, um Auschwitz zu besichtigen, das natürlich heute ein Museum ist.  Warum? Ist das alles nicht schon zu lange her? Was interessiert junge Menschen denn so an dieser grausamen Geschichte? Nun, das ist ganz klar, Tadeusz Sobolewicz wusste es: „Meine jungen Freunde“, sagte er, „das ist IHR Auftrag, wenn ich nicht mehr da bin: Erzählen sie das weiter! Damit so etwas nicht mehr passieren kann. Nie mehr!“ Er fehlt uns. 2015 ist er mit 90 Jahren verstorben. Die heutigen Schülergruppen müssen ohne ihn auskommen. Man kann ihn aber im Film sehen. Und den Auftrag annehmen.

Jürgen Seitz
Mitglied des Vorstandes im Verein EL-DE-Haus

Literatur: Primo Levi, Ist das ein Mensch?; Elie Wiesel, Nacht; Tadeusz Sobolewicz, Aus der Hölle zurück